Von Bumba nach Kinshasa

Unheimliche Fliegergeschichten, allerlei Lustiges und sonstige Merkwürdigkeiten

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Svend.B
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Von Bumba nach Kinshasa

Beitrag von Svend.B » Mi 14. Mai 2014, 06:42

Seid gegrüßt am Stammtisch,

ich habe hier wirklich nette Geschichten gelesen und möchte nun auch gerne einen kleinen Beitrag in dieser Rubrik beitragen.
Ein Flugerlebnis aus einer anderen Welt wo Begriffe wie z.B. MTOW keine Bedeutung haben ...
Diese Geschichte - aus meinen Reisetagebüchern - hat sich vor etwas über einem Jahr so zugetragen:

Gerade hatte ich einen zwölf Stunden Flug von Kinshasa nach Brüssel hinter mir und schon mal einen Vorgeschmack auf das Wetter daheim bekommen. Absurderweise hatten sie die Klimaanlage des Airbus A330 auf unangenehme zwölf Grad Celsius mit vollem Gebläse eingestellt um dann Wolldecken zu verteilen, falls einem fröstelt. Wie kommen die bloß darauf, nach einem Temperatursturz von fünfzig Grad? Mir jedenfalls war bitter kalt und die Temperaturen hier daheim waren noch um einige Grade niedriger angesiedelt.
Oh je, ich hatte Angst. Da hatte ich mit Ach und Krach den Kongo überlebt und sollte nun daheim den Kältetod sterben ?!
Der Gipfel aller Katastrophen-Flüge allerdings war der von Bumba, im Norden des Kongo-River, nach Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo – wobei Demokratie hier erst einmal neu definiert werden müsste.
Da stand sie nun also, eine alte ausrangierte zweimotorige russische Propellermaschine Marke Cessna, auf einer schottrigen fünfhundert Meter langen roten Sandpiste in Bumba, die die Start- und Landebahn darstellte. Der Flieger in technisch ähnlichem Zustand wie man in Kinshasa oder sonst wo auf dem Afrikanischen Kontinent auch die Autos antrifft. Das wichtigste Bauteil an diesen Vehikeln scheint mir die Hupe zu sein, denn diese wird hier am Tage öfter benutzt als die Bremse. Nur des Nachts nicht, denn ohne Licht am Fahrzeug sieht man ja nichts - und wen man nicht sieht, den muss man auch nicht vor Gefahren warnen.
Unter dem dubiosen Fluggerät bildete sich sogleich eine größere Lache Hydrauliköl. Was aber nicht weiter schlimm war, denn der Pilot hatte, wie sich noch herausstellten sollte, eine größere Menge Ersatzkanister vorrätig. Viel beunruhigender erschienen mir eher die vielen Bohrungen in den Tragflächen, wo einst Nieten gesessen hatten. Außerdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass der Flieger scheinbar ein wenig unterdimensioniert war, für die Anzahl Leute und Gepäck, die offensichtlich diesen Flug gebucht hatten.
Mir schwirrten da so einige Bilder aus Kinshasa durch den Kopf, wo sich hoffnungslos überfüllte PKW ächzend und stöhnend die staubigen Straßen entlang quälen um an der nächsten Biege alle viere von sich zu strecken.
Ich weiß jetzt endlich auch wie viele Menschen in einen VW Bus T3 passen. Und zwar nicht nur theoretisch, sondern auch in der praktischen Erprobung.
In den Fahrgastraum passen acht Reihen zu je vier Personen und in den Fahrerraum passen noch einmal fünf Personen. Macht zusammen siebenunddreißig Personen. Wenn man die Fenster eines solchen Fahrzeuges ausbaut, erhöht sich die Zahl der Mitfahrenden um weitere Fünf.
Mir kam der schreckliche Gedanke, dass im nächsten Moment die Propellermaschine ihrer Fenster entledigt wird, was einerseits Gewicht sparen würde, andererseits die Möglichkeit eröffnen würde, ein paar Passagiere mehr an Bord nehmen zu können.
Während ich also vor der glühend heißen Afrikanischen Mittagssonne Schatten suchend unter einer Tragfläche sitzend beobachte, wie der Pilot - um von sich abzulenken in eine andere Richtung schauend - die Hydraulikflüssigkeit nachfüllt, wird in die Pilotenkanzel und in den Passagierraum eifrig ein Gepäckstück nach dem Anderen geladen.
Endlich wurden auch die Reisenden zum Betreten der Maschine aufgefordert. Der hohe Besuch - in diesem Falle zwei Kollegen und meine Person - an erster Stelle.
Sich den Weg durch die Maschine zu den vordersten Sitzreihen zu bahnen gestaltete sich als sehr schwierig, da der Mittelgang mit diversen Rund- und Flacheisen so verbaut war, dass man nur mühsam voran kam. Ich hoffte, dass das zulässige Gesamtgewicht nicht damit schon überschritten war.
Zu allem Überfluss waren ein Drittel der Sitze aus denen bereits die Metallfedern und Schaumstoffmaterial quoll, zugebaut mit Koffern und anderem Gepäck. Nachdem ich mich endlich zu unseren Sitzen durchgekämpft hatte, gelang es mir einen kurzen Blick in das nicht minder zugestellte Cockpit zu erhaschen. Ich dachte mir, sollten wir je mit diesem Ufo in dichte Wolkenfelder eintauchen und auf Instrumentenflug angewiesen sein, hat die Kiste hoffentlich eine gut funktionierende Hupe. Unsere Sitzplätze befanden sich glücklicherweise direkt neben den Notausstiegen.
Wir nahmen Platz und tauschten einige Armlehnen aus. Wer eine zu viel hatte, gab dem Anderen eine ab. Das Flugzeug füllte sich, und füllte sich nach einer Weile immer noch. Der Pilot startete die Motoren. Einige Fahrgäste quetschten sich zwischen Kisten und Koffern, andere legten sich oben drauf und der Rest begnügte sich mit den Stehplätzen zwischen und auf den Metallgegenständen im Gang.
Die Tür wurde geschlossen und die Temperatur im Innenraum stieg auf schätzungsweise siebzig Grad Celsius bei fünfundneunzig Prozent Luftfeuchtigkeit.
Die Körperausdünstungen schlugen sich an den Fenstern und der Decke des Innenraumes nieder, um gleich darauf wieder auf uns hinab zu regnen. Wenn ich jetzt sage, wir waren nass geschwitzt, dann muss man sich das so vorstellen, als sei man in einen übel riechenden Teich gefallen.
Ich war gespannt, was als nächstes passieren würde, denn die Luke wurde wieder geöffnet. Mein erster Gedanke war, es kommen noch ein paar Passagiere hinzu, mein zweiter, wir fliegen mit offener Tür um die Temperatur erträglicher zu machen. Ich dachte an den Werbeslogan von Toyota, nichts ist unmöglich. Nur die hatten die Finger hier leider nicht im Spiel.
Dann aber gab es lauthals Proteste, der Pilot stoppte die Maschinen, da einige Fluggäste offensichtlich mit Ihren Stehplätzen nicht ganz zufrieden waren. In dem ganzen Durcheinander, in dem jeder sich gleichzeitig zu Wort meldete und laut gestikulierte wurde uns von unserem Dolmetscher übersetzt, dass das meiste Gepäck gar nicht den Passagieren zuzuordnen war, sondern für eine Holzfirma im Jungel bestimmt war. Nachdem man sich nach hitzigen Debatten einig geworden war, einige Gepäckstücke zurück zu lassen, hatten wir auch schon das nächste Problem. Nämlich, wie geht man am besten vor ?!
Zuerst das Gepäck raus und dann die Passagiere oder doch erst die Passagiere und dann das Gepäck oder doch ganz anders? Das sind immerhin Fragen, die in diesem Land eine halbe Stunde ausdiskutiert werden.
In der Zwischenzeit wurde mir übel. Aber nach einer Weile, die mir wie die Ewigkeit erschien, hatten dann doch alle einen Sitzplatz ergattert und der Pilot warf wieder die Motoren an.
Der Flieger rollte auf die Startbahn, kam wieder zum Stehen, der Pilot schaltete die Motoren ab, stieg aus, kippte Hydrauliköl nach, stieg ein, warf die Motoren wieder an und schaltete die Klimaanlage ein.
Sicher kennt Ihr alle diese lustigen kleinen Düsen in den Supermärkten, die über den Salat- und Gemüseregalen die Waren befeuchten um länger frisch zu bleiben und nicht auszutrocknen. Nach demselben Prinzip funktionierte auch diese Klimaanlage. Wir wurden also aufmerksamer Weise von oben besprenkelt. Wahrscheinlich damit wir uns frischer fühlten, denn ums Austrocknen machte ich mir zu diesem Zeitpunkt weniger Sorgen.
Die Motoren heulten auf und der Pilot löste die Bremsen. Augenblicklich hatte jede Person, die in Fahrtrichtung saß eine weitere Person auf dem Schoß sitzen. Denn die Sitzbänke waren so angeordnet, dass sich immer zwei Paare gegenübersaßen, wie in Omnibussen. Das Problem waren allerdings die fehlenden Sicherheitsgurte. Der Flieger beschleunigte und aus den Fenstern kam das Ende der Startbahn in Sicht. Wir erreichten die Grasnarbe. Die Propeller mähten noch eine Weile das hohe Gras, dann hob sich die Maschine stöhnend in die Luft.
Wir erreichten tatsächlich die Wolkenbasis und kletterten noch ein Stück höher, um nach einigen Minuten auch schon wieder zur Landung anzusetzen. Der Flieger kam am Ende der Landebahn zum Stehen. Einige Passagiere und der Pilot verließen den Flieger, der Pilot kippte Hydrauliköl nach, man verabschiedete sich, Küsste sich, schüttelte sich nach Art der Afrikaner die Hände, Küsste sich wieder, schüttelte sich erneut die Hände, schickte Grüße an Ehefrauen, Eltern, Schwägerinnen, Schwager und Schwippschwager und den Rest des Klans und begann damit, das freigewordene Platzangebot möglichst optimal auszunutzen und mit weiteren Gepäckstücken aufzufüllen. Darunter eine Kiste mit zwei Schweinen.
Wir setzten unseren Flug fort, und die Luft im Innenraum nahm Atem raubende Geruchsnoten an. Das gleiche Schauspiel bot sich bei der zweiten Zwischenlandung. Allerdings stieg hier eine atemberaubend schöne Stewardess hinzu, was mein Befinden für einige Sekunden Besserung bescherte dann aber jäh wieder in Übelkeit verfiel, als der Ziegenbock hinzu stieg.
Die Luke schloss sich und wir hoben wieder ab. Der Bock allerdings war nach einiger Zeit sehr ungehalten, ob des Ihm zugewiesenen Platzes in einer Nische im Heck der fliegenden Sauna, dessen Duftaufguss sich mittlerweile aus einer Mischung von getrocknetem Fisch, Schweinestall, menschlichen Ausdünstungen und Ziegenstall zusammensetzte. Die zierliche Stewardess indes hatte erheblich Mühe, sich gegen den mittlerweile sehr erzürnten und auf Bewegungsfreiheit pochenden Bock durchzusetzen und gab den ungleichen Kampf nach einer Weile auf. Was den Bock dazu veranlasste, die ohnehin schon zerfetzten Sitzgelegenheiten einem weiteren Belastungstest zu unterziehen.
Letztlich und Endlich haben es aber doch alle Passagiere geschafft, zumindest Körperlich den weiteren Flug nach Kinshasa heil zu überstehen. Was ich damit sagen will ist, dass es wahrscheinlich niemanden gewundert oder gar gestört hätte, wenn ich zusätzlich eine Oryx Antilope, in welchem Zustand auch immer – getrocknet oder Lebendig – mit an Bord gebracht hätte.
Das Problem dabei währe wahrscheinlich eher der kleine Umweg in die Namib Wüste gewesen, den wir hätten in Kauf nehmen müssen. Was wiederum zu mehrstündigen hitzigen Diskussionen geführt hätte und selbst die schier unerschöpfliche Menge an Hydrauliköl, die wir mit uns führten, irgendwann gegen null hätte gehen lassen.
Was die Vieren angeht, da bin ich mir noch nicht so sicher was ich im Gepäck habe, ich schlage vor, wir warten erst einmal die Inkubationszeiten ab, und dann schauen wir, was ich Euch so anbieten kann.

In diesem Sinne, … the sky is not the limit …
Zuletzt geändert von Svend.B am Mi 14. Mai 2014, 16:49, insgesamt 3-mal geändert.
Immer heile Landung
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powerandpitch
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Beitrag von powerandpitch » Mi 14. Mai 2014, 10:12

Man Sven,

geile Story. Heb wi lacht. :mrgreen:

Schön, wenn man in totaler Eigenverantwortung als Pilot ein Flugzeug betreiben kann.

Gruß

Edgar
Richtig motorisiert fliegt alles.
Mowa
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Beitrag von Mowa » Do 15. Mai 2014, 10:17

LooL. :D
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